Geschrieben von: Dr. Thomas Büllesbach
Kategorie: Geschichte
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Eine Betrachtung unter besonderer Berücksichtigung der gesellschaftlichen Entwicklungen und der politischen Verhältnisse insbesondere der Gründerzeit

Dr. Thomas Büllesbach

Geschichte-Politik-Gesellschaft-Pfadfinder

Welche Wechselwirkungen gab und gibt es, was sind die Auswirkungen heute?

Die Epochen der deutschen Geschichte nach dem Beginn der Pfadfinderbewegung in Deutschland

Deutsches Kaiserreich (1909-1918) 
Die Gründung in der Zeit der Jugendbewegung

Weimarer Republik (1918-1933) 
Die Zeit der bündischen Jugend

Nationalsozialismus – Drittes Reich (1933-1945) 
Die Verbotszeit

BRD nach 1945 bis heute

1945-1968 Die Zeit des Wiederaufbaus

1968-1990 Die Zeit der Moderne infolge der Studentenbewegung

1990-heute Die Zeit nach der Wiedervereinigung

Gründungszeit im Kaiserreich

Das kaiserliche Deutschland war voller sozialer Gegensätze. Während Gesellschaft von Aristokratie und Großbürgertum geprägt wurden, formierte sich die Arbeiterklasse zum Kampf um soziale und politische Emanzipation. Zugleich veränderten technisch-industrielle Errungenschaften die gewohnten Lebenswelten grundlegend. Von den sich immer schneller beschleunigenden Veränderungen waren vor allem die Städte der industriellen Zentren betroffen. 
Von der 1895 einsetzenden und bis 1913 andauernden Hochkonjunktur profitierten nahezu alle Kreise der Bevölkerung. Der jährliche Zuwachs des Reallohns von einem Prozent lag allerdings deutlich unter dem Reallohnzuwachs anderer Industrieländer. 
Fast den gesamten Zuwachs nahmen die Städte auf, in denen sich die entstehende Massengesellschaft formierte. In den Großstädten vervierfachte sich die Bevölkerung zwischen 1871 und 1910 auch durch den Zuzug aus den agrarischen Gebieten Ostdeutschlands, wo die Löhne seit der Agrarkrise der 1870er Jahre weit hinter denen der Industrie zurückgeblieben waren. Mit ihrem attraktiven Lohnniveau absorbierten die Städte den Strom von Auswanderern, der bisher vor allem nach Nordamerika gerichtet war. 
Trotz der Arbeiterbewegung war der "preußische Untertanen-Geist" sprichwörtlich. Auch in Haushalten sozialdemokratischer Arbeiter fand sich das Bild des Kaisers neben den Familienfotos und den Andenken an den Militärdienst. Der überall wahrgenommene Anstieg von Macht und Ansehen des Kaiserreichs war eine verlässliche Klammer der bestehenden Klassengegensätze. 

Industrialisierung, Landflucht, Verstädterung
Kapitalismus vs. Arbeiterbewegung:
Verbindungsglieder der Gegensätze: Patriotismus, Fortschritt und zunehmender Wohlstand

Europapolitik und das (schlechte) Verhältnis des Deutschen Reiches zu den Nachbarstaaten

Die europäischen Großmächte Großbritannien, Frankreich und Russland betrachteten das Deutsche Reich mit Argwohn. Durch die Anektion Elsaß-Lothringens 1871 war das Verhältnis zu Frankreich bereits feindlich. Wirtschaftliche und politische Sanktionen Deutschlands gegen Russland führten zu einer russisch-französischen Koalition, für Deutschland wurde ein Zweifrontenkonflikt immer wahrscheinlicher. Dennoch hat die deutsche Regierung nicht die Nähe zu GB gesucht, Ursache dafür waren koloniale Interessenskonflikte. Als GB und Frankreich sich überraschenderweise im Kolonialstreit einigen konnten, sah sich das Deutsche Reich 1904 nur im Bündnis mit Österreich-Ungarn einer Koalition aller drei Großmächte gegenüber. Abrüstungsverhandlungen in Bezug auf die gegen GB gerichtete Flotte scheiterten 1907 auf der 2. Haager Friedenskonferenz an der deutschen Seite.
Der sich anbahnende europäische Konflikt führte innerhalb Deutschlands zu einer Verstärkung des Patriotismus, des Militarismus, zu Aufrüstung und einer gesellschaftlichen Isolierung gegenüber den Einflüssen der europäischen Nachbarstaaten.

Pfadfinder in Deutschland 1909, ein Wunder?
Ja.

Drei der vier bekanntesten Initiatoren für die Pfadfinderbewegung in Deutschland sind trotz hervorragender Reputation Sanktionen ausgesetzt worden. Es war in der Kaiserzeit unter den gesellschaftlichen Umständen vor dem 1. Weltkrieg nicht so einfach möglich, für eine britische Methode der Jugenderziehung zu werben, wo doch jeder anständige Junge ein möglichst guter deutscher Soldat preußischer Manier und Patriot werden sollte. Wäre nicht die Mitgliedschaft in einer solchen Organisation, die sich zudem international ausbreitete, Landesverrat?

Warum hat es doch funktioniert?

Die gesellschaftliche Konfrontation

Die gesellschaftlichen Gegensätze waren in erster Linie sozialer Art. Die Arbeiterschicht war durch Armut und Kinderreichtum geprägt, die Familien waren durch Erwerbstätigkeit außerhalb des Hauses nicht in der Lage, die Kindererziehung sicherzustellen. Durch die Konzentration in den Ballungsgebieten sind die Behörden als auch die nichtstaatlichen Organisationen nicht in der Lage, den Misstand der Verelendung und der Entsozialisierung aufzufangen. 
Politisch extreme Gruppierungen sozialistisch-kommunistischer Tendenz gewinnen gehörig an Einfluss und treten als systemfeindliche und/oder staatsfeindliche Kräfte auf.
Parallel zu der Entwicklung in GB erkennt die politische Führung in der Pfadfindermethode eine Möglichkeit, kostengünstig direkt Einfluß auf die Erziehung der Heranwachsenden zu nehmen und deren Staatstreue zu fördern.
Fazit: Pfadfinder in Deutschland: KEIN WUNDER!

Die Gründer

Im Januar 1909 Gründung des Jugendsportvereins in Wald und Feld in Berlin durch Lion, Bayer und Baschwitz. Ausschlaggebend war der persönliche Kontakt Lions zu BP und seine Übersetzung des Buches Scouting for boys.
Im September Gründung einer ersten Pfadfindergruppe in München durch den Gymnasiallehrer Wimmer.
Die ersten Schwierigkeiten bestanden im national geprägten Deutschland eine „ausländische“ Bewegung zu implementieren. In den Jahren 1909 und 1910 waren die Anfeindungen ein derart gravierendes Karrierehindernis, dass sich der Offizier und Mitherausgeber des Pfadfinderbuches M. Bayer von der Autorenliste streichen ließ.

Der Aufschwung durch den Staat

Während man sich anfangs in einzelnen kleinen Gruppierungen antinationalen, antimilitärischen und antisemitischen Vorwürfen ausgesetzt sah, entdeckte der Staat die Pfadfindermethode als Instrument. 
Am 18.1.1911, dem 40. Jahrestag der Gründung des Deutschen Kaiserreiches, setzte der Kaiser selbst der Pfadfinderbewegung seinen Stempel auf:

Deutscher Pfadfinderbund

Der DPB stellt den Zusammenschluss deutscher
Pfadfinder dar. Im Sommer 1911 wird er als Verein 
eingetragen.
Das Bundeszeichen wird die abgewandelte
Flagge des Stabes eines Armeeoberkommandos,
welche bis zum Ende des Ersten Weltkrieges
verwendet wird und später als Wimpel des Chefs eines
Armeeoberkommandos bis zum Ende des 2. Weltkrieges
benutzt wird.
Die Lilie als international übliches Pfadfindersymbol
findet erst später Verwendung.
Unter staatlicher Einflussnahme explodieren die Mitgliederzahlen:
Bis zu 90.000 im Jahr 1913.

Jugendbewegung und Staat

Warum wurden die Pfadfinder in dieser besonderen Weise, aber nicht die anderen Jugendbünde / verbände unterstützt?
Hier dürfen wir davon ausgehen, dass anhand des britischen Vorbildes nachweisbar wurde, dass über die Pfadfinderbewegung Jugendliche aller sozialen Klassen (bei Überwiegen der Mittelschicht) erreichbar waren und nationale Erziehungsziele transportierbar wurden. Eingeschränkt gilt das auch für die Sportverbände.
Zwar bestanden spätestens seit der Wandervogelbewegung 1897 eine große Zahl von Gruppen, welche der Jugendbewegung zugehörig waren, doch den Pfadfindern ist es elementares Erziehungsziel, „gute“ Staatbürger aus den Heranwachsenden zu bilden. Diesen Umstand auf eine rein paramilitärische Erziehung zu reduzieren, geht allerdings an der Realität vorbei. Tatsache ist jedoch, dass Offiziere und Unteroffiziere für Pfadfinderarbeit freigestellt wurden und finanzielle Aufbauhilfen gewährt worden sind.

Das Meissnertreffen 1913

Das Treffen der freideutschen Jugend im Oktober 1913 auf dem Meissner im Kaufunger Wald bei Kassel war entgegen oft geäußerter Ansichten kein Treffen mit / von Pfadfindern. Hier haben Burschenschaftler, Reformpädagogen, Freischärler und andere jugendbewegte Gruppen ganz unterschiedlicher Ausrichtung versucht, am Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig 
(1813 wurden die Truppen Napoleons durch den Seitenwechsel der königlich bayrischen Armee auf die deutsche Seite vernichtend geschlagen, die damals politisch mögliche großdeutsche Lösung mit Österreich-Ungarn kam nicht zustande, dafür bildete sich ein (klein)deutscher Nationalstaat unter preußischer Führung)
eine Gegenveranstaltung zu den patriotischen Gedenkfeiern im Lande durchzuführen und gemeinsame Ziele zu formulieren.
Heute allerdings haben die Schlagworte „eigene Bestimmung, eigene Verantwortung, innere Wahrhaftigkeit und innere Freiheit“ der Meissnerformel auch in der deutschen Pfadfinderbewegung einen hohen Stellenwert, wie auch der Verzicht auf Alkohol und Nikotin, was allerdings BP schon eingefordert hat.

Der erste Weltkrieg

Im Weltkrieg spielen die Pfadfindergruppen keine wesentliche Rolle für die bürgerliche Gesellschaft mehr, zu sehr ist die Nation mit den mittelbaren und unmittelbaren Kriegsauswirkungen beschäftigt. Umgekehrt sind die meisten Pfadfinderführer als Soldaten eingezogen, die Pfadfindergruppen werden oft unter der Führung nicht mehr fronttauglicher Offiziere zum Kriegsdienst verwendet. So übernehmen z. B. in Brüssel ein Pfadfinderkorps Ordonnanzdienste, damit 120 Soldaten für den Dienst an der Front freigesetzt werden können und in Nürnberg haben Pfadfinder ein Lazarett organisiert. Die Idee einer sehr persönlichen Erziehung von Jugendlichen in der Kleingruppe zu Freiheit, gegenseitiger Achtung und Kreativität, wie von BP vorgesehen, ist in diesem Zeitabschnitt patriotischem Gehorsam und den militärischen Interessen eines Deutschen Reiches gewichen. Maximilian Bayer schreibt jetzt im „Pfadfinder“ und im „Feldmeister“ Artikel zur Steigerung der nationalen Wehrkraft und fällt 1917 in Lothringen.
In England machen die Boy Scouts eine ganz ähnliche Phase durch, auch sie werden als Kriegshelfer im Land zivil oder militärisch verwendet.

Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Ende des Kaiserreiches beginnt eine neue politische Ära für Deutschland und ein neuer Abschnitt in der deutschen Pfadfindergeschichte.

Die Zeit der Weimarer Republik

Nach dem ersten WK verfiel die Gesellschaft in eine Sinnkrise durch den Verlust einer klassenübergreifenden nationalen Werteordnung.
Es war daher auch nicht möglich, den DPB als Gesamtverband der deutschen Pfadfinder aufrechtzuerhalten, es spalteten sich kaiserlich-konservative (Seckendorff), sozialistisch orientierte und bündisch-jugendbewegte Flügel ab. Die letzteren beruhen auf die persönlichen und engen Beziehungen zwischen Pfadfindern und Jugendbewegten an den Fronten im ersten WK.
Nicht zuletzt organisieren sich die konfessionell gebundenen Pfadfinder. 
Was die deutsche Pfadfinderbewegung insgesamt anbetrifft, fehlt noch der äußere Zusammenhalt durch die Anerkennung eines Verbandes durch eine Weltpfadfinderorganisation. Das Weltpfadfinderbüro wird erst 1920 gegründet und hat in der Folge erhebliche Schwierigkeiten, in der Vielzahl der jungen deutschen Pfadfinderbünde geeignete Partner zu finden.

Deutsche Freischar

1926 wird die Deutsche Feischar als ein Zusammenschluss der Bünde deutscher Ringpfadinder und Neupfadinder mit dem Wandervogel, dem Deutschen Jungenbund, der Deutschen Jungenschaft und anderen gegründet und versteht sich als ein Bund der Wandervögel und Pfadfinder und ist damit die Verkörperung der Verschmelzung von Jugendbewegung und Pfadfindertum. 1930 erreicht der Bund nach der Verbindung mit dem Großdeutschen Jungenbund 16.000 Mitglieder, fällt aber bald wieder auseinander. Es ist das Zeitalter der Bündischen Jugend.
Eine wichtige Absprengung ist die DJ 1.11, ein als Lebensbund konzipierter Jungenbund der am 1.11.1929 von tusk (Eberhard Köbel) ins Leben gerufen wird. Dieser ist nach dem Hortensystem organisiert, tusk konzipert die Juja, bürgert die Kohte als Abbild der von den Lappen benutzten Kotta ein, russische Saiteninstrumente und choraler Gesang finden Eingang in die bündische Jugend und es erscheint die Zeitschrift Der Eisbrecher. Ab Pfingsten 1931 gibt es eine kurze, aber starke Verbindung zum DPB, der kurz darauf in endgültig in seine traditionell-konservativen und bündischen Lager zerfällt, durch das Verbot der freien Jugend durch Schirach kommt diese Tatsache historisch gesehen allerdings nicht mehr zum Tragen.

Beispiel für konfessionelle Pfadfinderbünde in der Weimarer Republik

Die DPSG
7.10.1929 im Dom zu Altenberg aus dem Zusammenschluss verschiedener katholischer Pfadfinderstämme entstanden, organisiert sie sich zunächst im Katholischen Jungmännerverband. Erst 1950 erhielt die DPSG als Mitglied im Ring deutscher Pfadfinderverbände die internationale Anerkennung durch die Weltpfadfinderorganisation WOSM, obwohl bereits vor dem 2. WK Kontakte zum Weltpfadfinderbüro bestanden.

Fazit zur Weimarer Zeit

Diese Phase der Jugendbewegung ist kurz und schnelllebig. Durch den ideellen Zusammenschluss von Pfadfindertum und Jugendbewegung sowie dem Verlust preußischer Gehorsamskultur entsteht in Deutschland in kurzer Zeit eine neue Jugendkultur, die Zeit der bündischen Jugend bricht an. Äußere Formen der neuen Bewegung etablieren sich als Markenzeichen dieser Subkultur und haben noch heute einen hohen Wiedererkennungswert. Durch neu gewonnene Freiheiten bilden sich immer neue Zusammenschlüsse und Spaltungen von Bünden, es entsteht bereits in dieser Phase eine große Vielfalt. Den Gegenpol dazu bildet jedoch die immer mehr verbreitete Idee des Lebensbundes. International haben diese deutschen Entwicklungen keine Bedeutung und finden im Ausland kaum Verbreitung.
Gleichzeitig gewinnen konfessionelle Gruppierungen innerhalb der Pfadfinderbewegung erheblichen Auftrieb und erlangen großen gesellschaftlichen Einfluss. Hier wird am ehesten erkennbar, dass viele junge Menschen das geistige Vakuum durch den Zusammenbruch des national geprägten Kaiserreiches mit religiösen Lebensinhalten füllen. Dieser Gedanke wird uns nach dem späteren Zusammenbruch des 3.Reiches erneut beschäftigen.

Der Nationalsozialismus und die Pfadfinderbewegung

Gesetz über die Hitlerjugend vom 1. Dezember 1936 
Von der Jugend hängt die Zukunft des Deutschen Volkes ab. Die gesamte deutsche Jugend muß deshalb auf ihre künftigen Pflichten vorbereitet werden. 
Die Reichsregierung hat daher das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird: 
§1. Die gesamte deutsche Jugend innerhalb des Reichsgebietes ist in der Hitlerjugend zusammengefaßt. 
§2. Die gesamte deutsche Jugend ist außer in Elternhaus und Schule in der Hitlerjugend körperlich, geistig und sittlich im Geiste des Nationalsozialismus zum Dienst am Volk und zur Volksgemeinschaft zu erziehen. 
§3. Die Aufgabe der Erziehung der gesamten deutschen Jugend in der Hitlerjugend wird dem Reichsjugendführer der NSDAP übertragen. Er ist damit "Jugendführer des Deutschen Reichs”. Er hat die Stellung einer Obersten Reichsbehörde mit dem Sitz in Berlin und ist dem Führer und Reichskanzler unmittelbar unterstellt. 
§4. Die zur Durchführung und Ergänzung dieses Gesetzes erforderlichen Rechtsverordnungen und allgemeinen Verwaltungsvorschriften erläßt der Führer und Reichskanzler.
Berlin, den 1. Dezember 1936 
Der Führer und Reichskanzler: Adolf Hitler 
Der Staatssekretär und Chef der Reichskanzlei: 
Dr. Lammers 
Quelle: Reichsgesetzblatt 1936 I S. 993. 

Der Reichsjugendführer

Baldur Benedikt von Schirach (* 9. Mai 1907 in Berlin; † 8. August 1974 in Kröv an der Mosel) war ein Politiker der NSDAP während der Zeit des Nationalsozialismus und Reichsjugendführer von 1933-1940. Schirach war der Sohn des Oberleutnants Karl Baily Norris von Schirach (1873–1949) und dessen amerikanischer Ehefrau Emma Lynah Tillou Bailey Middleton von Schirach (1872–1944).
Schirach wuchs in einem gleichermaßen liberal und progressiv-aufgeklärten wie auch konservativen und kaisertreuen Milieu auf. Er wurde im Sinne des Reformpädagogen Hermann Lietz erzogen. Als 17-jähriger begegnete Schirach 1925 Adolf Hitler und wurde zu dessen begeistertem Anhänger. Mit Erreichen der Volljährigkeit trat er in die NSDAP ein. 1928 wurde er Führer des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbunds. Am 30. Oktober 1931 wurde er zum Reichsjugendführer der NSDAP ernannt und erhielt den Rang eines Gruppenführers in der SA.
Nach der „Machtergreifung“ und der Gleichschaltung aller Jugendverbände ernannte ihn Hitler am 17. Juni 1933 zum Jugendführer des Deutschen Reiches. Hauptamtlich wurde Schirach 1941 Gauleiter und Reichsstatthalter in Wien. Er wurde 1946 in den Nürnberger Prozessen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 20 Jahren Haft verurteilt, da er als Gauleiter in Wien für die Deportation von 185.000 österreichischen Juden in Konzentrationslager verantwortlich war. 

Die gesellschaftliche Bedeutung der Pfadfinder im 3. Reich

Bereits vor der Machtergreifung ist die Hitlerjugend aktiv und wirbt innerhalb der Bündischen Jugend und der Pfadfinderbünde viele Mitglieder ab. Am 2. Oktober 1932 findet der erste Reichsjugendtag der HJ unter der Führung von Schirach mit 60.000 Teilnehmern statt. Viele dieser Mitglieder rekrutieren sich aus dem konservativen Flügel des DPB.
Als Beispiel dafür spaltet sich 1928 eine Gruppierung unter dem Namen DPB-Westmark ab, welche von Anfang an enge Verbindungen zum Jungstahlhelm unterhält, der wiederum nationalistisch und militaristisch ausgerichtet ist und aus dem sich später viele SA-Mitglieder rekrutieren.
Nachdem das Verbot der meisten Pfadfinderbünde wie auch der übrigen Jugendbünde bereits 1933 ausgesprochen und geahndet worden ist, hat die Pfadfinderbewegung in der Gesellschaft plötzlich keine Bedeutung mehr. Das Hitlerjugendgesetz schreibt die HJ als Staatsjugendorganisation endgültig fest. Bis 1938 können katholische Gruppen unter erheblichen Einschränkungen unter dem Reichkonkordat mit dem Vatikan bestehen, werden dann aber auch illlegal. Jüdische Pfadfindergruppen sind ebenfalls bis 1938 aktiv.
Wie an dieser Stelle bereits mehrfach von Betroffenen und Zeitzeugen referiert, bleiben einzelne Pfadfinder und Pfadfindergruppen in der Illegalität aktiv, viele Führer emigrieren oder werden verfolgt. 

Edelweißpiraten, ein Rückzugsort für Bündische und Pfadfinder?

Bericht: Edelweißpiraten erregen "Anstoß", 1943 
Reichssicherheitshauptamt - IV C 4 b - B.Nr. 116/43 - Berlin SW 11, den 15. März 1943 Betrifft: Jugendliche Banden - "Edelweißpiraten” – 

Seit 1 ½ Jahren machten sich in verschiedenen rheinischen und westfälischen Städten wilde Jugendgruppen bemerkbar, die sich als »Edelweißpiraten« bezeichnen und durch betont lässige Kleidung und Haltung allenthalten auffielen und Anstoß erregten. Verschiedene Angehörige dieser Gruppen trugen weiße Strümpfe, kurze Lederhose, buntes Fahrtenhemd, Halstuch und als äußeres Erkennungszeichen ein Edelweiß. Sie führten auf ihren Wanderungen Klampfen mit, sangen Piraten-, Fahrten- und bündische Lieder und übernachteten draußen in Zelten oder bei Bauern in Scheunen. (...) 
Im übrigen legten diese Jugendlichen gegen alles, was irgendwie mit der HJ zu tun hatte, eine feindliche Einstellung an den Tag, was auch in ihren Liedern, sowie in ihrem Verhalten gegenüber HJ-Angehörigen zum Ausdruck kam. 
Am 7. 12. 1942 wurden nach vorhergehender Überwachung im Bezirk der Staatspolizeileitstelle Düsseldorf die einzelnen Gruppen schlagartig aufgelöst, und zwar in: 
Düsseldorf 10 Gruppen mit insgesamt 283 Jugendlichen, Duisburg 10 Gruppen mit insgesamt 260 Jugendlichen, Essen 4 Gruppen mit insgesamt 124 Jugendlichen, Wuppertal 4 Gruppen mit insgesamt 72 Jugendlichen. 
In über 400 Vernehmungen wurden 320 Jugendliche über ihre Zugehörigkeit und Betätigung innerhalb der wilden Gruppen befragt und vorübergehend 130 Jugendliche festgenommen. Drei ältere Personen, davon 2 jüdische Mischlinge ersten Grades, werden wegen ihres besonders verderblichen Einflusses innerhalb der Jugend in Schutzhaft gehalten und einem Konzentrationslager zugeführt. Voraussichtlich wird gegen 140 Jugendliche bei den zuständigen Sondergerichten die Einleitung von Strafverfahren beantragt. Darüber hinaus wurden einige Jugendliche, die besonders sittlich verkommen waren, der öffentlichen Fürsorge zugeführt und andere durch Dienstverpflichtung aus ihrem Wohnbereich entfernt. Es ist weiter beabsichtigt, die Jugendlichen, gegen die kein Strafverfahren eingeleitet wird, möglichst bald zum RAD oder zur Wehrmacht einberufen zu lassen, damit sie aus ihrer Umgebung herauskommen. (...) 
Die Mehrzahl der jugendlichen war sich der Tragweite ihrer Handlungsweise nicht bewußt. Sie haben die Fahrtenkluft getragen, um, wie sie sagen, nach außen hin zu zeigen, daß sie etwas anderes sein wollen. Die Lieder haben sie gesungen, weil Melodie und Text ihrer Jugendphantasie entsprachen. Hiermit ist aber nicht gesagt, daß die "Edelweißpiraten” nur eine harmlose Jugenderscheinung darstellen. Wenn auch die Jugend selbst die Tragweite ihrer Handlung nicht erkennen kann, so ist doch die damit verbundene Gefährdung auf sittlichem, kriminellem und auf politischem Gebiet nicht ernst genug zu nehmen. 

Die Nachkriegsjahre 

Mit der Berliner Deklaration vom 5. Juni 1945 übernehmen die vier Siegermächte, USA, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich, die Oberste Regierungsgewalt in Deutschland. Der aus den vier Oberbefehlshabern gebildete Alliierte Kontrollrat in Berlin entscheidet fortan über alle Fragen, die Deutschland als Ganzes betreffen. Das Deutsche Reich wird in vier unterschiedlich große Besatzungszonen und Berlin in vier Sektoren aufgeteilt, in denen die Militärgouverneure nach eigenem Ermessen handeln. 
Auf der Potsdamer Konferenz (17. Juli - 2. August 1945) einigen sich die Vier Mächte auf politische Grundsätze für die Behandlung Deutschlands: Entmilitarisierung, Entnazifizierung, Dezentralisierung, Dekartellisierung und Demokratisierung. Außerdem wird beschlossen, die deutschen Gebiete östlich von Oder und Lausitzer Neiße bis zu einem Friedensvertrag unter polnische sowie sowjetische Verwaltung zu stellen und die dortige deutsche Bevölkerung ebenso wie die Deutschen aus der Tschechoslowakei und Ungarn auszusiedeln. 

Die Zeit des Wiederaufbaus in den Westsektoren und der jungen BRD bis 1968

Nach dem 2.WK übernehmen die Alliierten Truppen die Verwaltung. Während in der sowjetischen Besatzungszone keine Pfadfinderbewegung zustande kommt (FDJ der DDR), erlauben die westlichen Alliierten nach anfänglichem Verbot die Neuorganisation der Pfadfinderbünde. Im Dezember 1945 war es Alexander Lion, der zur Neuorganisation aufruft.
Bis es zur internationalen Anerkennung der Ringbünde 1950 durch das WOSM bzw. WAGGGS kommt, ist die BRD bereits existent.
Die Konvention für die Anerkennung der Pfadfinder im neuen Deutschland ist es, nicht eine einzige Pfadfinderorganisation, sondern einen Ring aus mehreren Pfadfinderbünden (jeweils für Mädchen und Jungen getrennt) zuzulassen. Entsprechend dem erstarkenden Einfluss der Kirchen einigt man sich auf zwei Ringbünde Deutscher Pfadfinder(innen) bestehend aus zwei konfessionellen und einem konfessionell nicht gebundenem Bund.

Die Ringbünde

DPB – Deutscher Pfadfinderbund (interkonfessionell), zuerst als Bund deutscher Jugend von Berlin (kein Ringbund)

BDP - Bund Deutscher Pfadfinder (interkonfessionell) 
CPD - Christliche Pfadfinderschaft Deutschlands (evangelisch) 
DPSG - Deutsche Pfadfinderschaft Sankt Georg (katholisch)

BDPi - Bund Deutscher Pfadfinderinnen (interkonfessionell) 
EMP - Evangelischer Mädchen-Pfadfinderbund (evangelisch) 
BCP - Bund Christlicher Pfadfinderinnen (evangelisch, in Bayern) 
PSG - Pfadfinderinnenschaft St. Georg (katholisch) 

Die Konfessionellen Pfadfinderbünde

Die konfessionellen Bünde haben nach dem 2.WK erheblich günstigere Voraussetzungen sich neu zu formieren als die konfessionell Ungebundenen. Ihnen fällt es leichter, sich von HJ, BDM und Nationalismus abzugrenzen und haben durch die Kirchennähe auch eine inhaltliche Ausrichtung. Die Besatzer sehen in den kirchlichen Verbänden eher keine Gegenströmung zu den laufenden Entnazifizierungsprogrammen. Wegen der teilweise bis 1938 währenden Tolerierung der konfessionellen Pfadfindergruppen im 3.Reich ist der zeitliche Abstand kürzer und die Organisationsstrukturen sind nicht vollständig verloren gegangen. 
Am Beispiel der DPSG lässt sich ablesen, dass bereits 1945 der Wiederbeginn auf lokaler Ebene erfolgt, das erste Nachkriegs-Bundesthing wird schon 1946 abgehalten, 1947 wird der Verband Gründungsmitglied des BDKJ, 1950 erhält sie die internationale Anerkennung im WOSM.

Die nicht konfessionellen Bünde

Die nicht konfessionell gebunden Pfadfinder haben größere Schwierigkeiten, sich von Nationalismus und Staatsjugend abzugrenzen. Es erfolgt zwar die Neugründung des DPB, aber dieser hat mit dem DPB der Kaiserzeit kaum mehr als den Namen gemeinsam. Er trägt eine große Menge bündischer Elemente, darunter das Hortensystem, versteht sich als Lebensbund, und macht sich frei von jeglicher politischer oder konfessioneller Abhängigkeit. Erziehungsziel ist der weltoffene und mündige Mensch, der selbständige Staatsbürger.
Aus vielen lokalen Pfadfinderschaften entsteht der BDP als Bund Deutscher Pfadfinder und analog dazu der Bund Deutscher Pfadfinderinnen. Diese beiden erhalten in den beiden Ringen (Ring Deutscher Pfadfinderbünde, Ring Deutscher Pfadfinderinnenbünde) 1950 ebenfalls die internationale Anerkennung.
Diese Pfadfinderschaften in den Ringbünden bleiben verhältnismäßig stabil und orientieren sich formell und inhaltlich an der Bündischen Zeit vor 1933.
Der bereits genannte DPB Westmark entsteht 1950 in Bad Kreuznach neu aus Gruppen des DPB, wohl aus Enttäuschung über das Verbot, an einem internationalen Pfadfinderlauf teilzunehmen (Hajo Roller, BF BDP). Die nationale Ausrichtung wenigstens eines Teils des Bundes blieb bis zur Umbenennung 1988 in PBMosaik und dem Austritt vieler Mitglieder und Stämme erhalten. 

Die zentralistische Direktive im BDP und ihre Folgen

Der BDP verstand sich als Sammelbecken der interkonfessionellen Pfadfinder, von der bündischen Variante DPB einmal abgesehen. Die zentralistischen Bestrebungen des BDP in den 50er Jahren einen einheitlichen Bund zu schaffen, führten zu erheblichen Spannungen zwischen bündisch und scoutistisch orientierten Lagern. Zum Teil traten Teile ganzer Landesmarken aus und bildeten neue Bünde, wie 1955 die Freie Pfadfinderschaft Schleswig Holstein, 1956 die Pfadfinderschaft Grauer Reiter und 1958 der Pfadfinderbund Großer Jäger in Nordhessen.

Auf dem Meißner-Treffen 1963 bildete sich die „Arbeitsgemeinschaft Deutscher Pfadfinderbünde“ (AG) aus DPB, Pfadfinderbund Großer Jäger, Pfadfinderschaft Grauer Reiter, Pfadfinderbund Nordbaden und später auch dem Bund Deutscher Jungenschaften die zur Gründung des Ringes junger Bünde führte. Die AG führte noch bis 1966 vergeblich Gespräche mit dem BDP mit dem Ziel einer Wiedervereinigung der interkonfessionellen Pfadfinderbünde.

Die Zeit der Moderne ab 1968 bis zur Wiedervereinigung Deutschlands

Während die Gesellschaft die Veränderung der Werteordnung erst mit den Studentenunruhen zur Kenntnis genommen hat, war das Umdenken innerhalb der Jugendbewegung und der Anbruch der Moderne schon vollzogen. Etwa ab 1965 kommen erste strukturelle Veränderungen der Pfadfinderbewegung zum Tragen.
Als erstes strukturelle Zeichen eine Wertewandels findet die Koedukation flächendeckend Einzug in die pfadfinderische Landschaft. Später werden fast alle Ringverbände koedukativ geführt, die zwei geschlechtsgetrennten Ringorganisationen zusammengeführt.
In den Gruppen und Verbänden wurde nach neuen Methoden und Ausrichtungen gesucht, man fing an die Pfadfinder zu politisieren. Die Studenten der „Außerparlamentarischen Opposition“ begründeten dies damit, dass unpolitisch sein gleich konservativ sein heiße und dieses den gesellschaftlichen Wandel blockiere.
Während also die Generation zuvor aus den Trümmern des politisch in Irre gegangenen Deutschlands versucht hat, Pfadinder wiederauferstehen zu lassen und das Feld politischer Ausrichtung bewußt unbearbeitet ließ, machte man ihr jetzt den Vorwurf, nicht die Auseinandersetzung mit dem Geschehenen gesucht zu haben. Dies nicht zuletzt auch wegen der allgegenwärtigen Befangenheit.

Die Grabenkriege zerstören Pfadfinderkultur

Am Beispiel des BDP lassen sich am ehesten die Bedeutung und die Folgen der politischen Auseinandersetzung zeigen: (Schematisch!)
Der Bund spaltet sich in die verschiedenen Lager der Konservativen und der Oppositionellen. Diese bilden die „Arbeitsgemeinschaft“, welche neue pfadfinderische Inhalte und Formen erarbeiten soll. Die Konservativen treten als erste aus und schwächen die verbleibende Fraktion. Sie bilden zunächst lokale Bünde, 1970 fassen sie sich als Deutsche Pfadfinder e.V. zusammen und bilden zusammen mit dem DPB 1971 als Dachverband den DPV, der auch den DPB Westmark aufnimmt.
Der Weltpfadfinderverband mahnt den BDP, die politische Neutralität gemäß den Statuten zu wahren und droht die Suspendierung der deutschen Pfadfinder an.
Die Ringpartner kommen dem vorerst zuvor und suspendieren ihrerseits den BDP.
Der Weltverband nahm die Missachtung der politischen Neutralität nicht länger hin und suspendierte 1971 die deutschen Mitglieder.
1971 verließ die „Arbeitsgemeinschaft“ den BDP nach verlorener Vorstandswahl und gründete den BdP.

Im Mai 1971lösen sich die Ringbünde auf.
Die drei evangelischen Pfadfinderbünde schließen sich als VCP zusammen.
Die DPSG wird koedukativ, die PSG nicht, ein Zusammenschluß kommt nicht zustande.
Im Januar 1973 bilden die DPSG, der VCP und der BdP den Ring deutscher Pfadfinderverbände neu. Faktisch entspricht das Vorgehen dem Rausschmiss des BPD, welcher fortan keine wesentliche Bedeutung mehr erhält. 
Schon im Laufe des Jahres 1973 wird der neue Ringverband vom WOSM anerkannt.
Der DPV als Partner im Ringverband war in der Diskussion, wäre möglich gewesen, aber von den Konfessionellen nicht gewünscht. Verhandlungen darüber fanden in den späten 70er und den 80er Jahren immer wieder statt und führten bislang nicht zur Anerkennung der Bünde im DPV.

Die Konfessionellen und die Moderne

Auch die Konfessionellen Verbände haben in Ihrer Entwicklung und ihrer politischen Ausrichtung Gruppen und Einzelmitglieder verloren, welche die Marschrichtung nicht mitgehen wollten. So finden wir heute beispielsweise die KPE, die schon früh in den 70ern die DPSG verlassen hat, die EPSG und den BESP auf der katholischen Seite. Aus der Auseinandersetzung mit den Zielen der DPSG in den 70/80er Jahren ist der UMK entstanden. Hier fanden sich Vertreter konservativer Pfadfinderstämme der DPSG zusammen, die sich für den Erhalt der pfadfinderischen Wesensmerkmale wie Gesetz, Versprechen, Wahlspruch, Proben und Kluft eingesetzt haben.
Am Ende hat sich der Kreis geöffnet, einzelne Stämme haben sich in der EPSG organisiert, die Auseinandersetzung mit Vertretern offener Jugendarbeit oder der Kampf um traditionelle Formen findet nicht mehr statt.
Auf der Seite der evangelischen Pfadfindern findet sich eine ähnliche Entwicklung, hier sind ebenfalls eine Reihe von Bünden aus der VCP abgespalten, beispielsweise die heutige CPD u.a.

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands

Panta rhei........